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DRUCKVERSION "Polen ist in vielem schon weiter"

Fit für die Osterweiterung? Der Wirtschaftsgeograf Stefan Krätke von der Universität Viadrina glaubt, dass Berlin offensiver mit dem Thema Polen umgehen müsse. Chancen gebe es auch für die Ansiedlung polnischer Unternehmer in Berlin

von UWE RADA

taz: Herr Krätke, was haben Berlin und San Diego gemeinsam?

Stefan Krätke: Grenznähe. Beide Städte zu vergleichen ist aber sehr schwierig. San Diego ist eher ein Satellit von Los Angeles. Dabei wird die mexikanische Seite von einer boomenden US-Wirtschaft seit langer Zeit als Billiglohnstandort genutzt. Mit einer Stadt wie Berlin, die alles andere als boomt, ist das nicht zu vergleichen.

Auch in Polen hat man in unmittelbarer Grenznähe versucht, westliche Firmen in Sonderwirtschaftszonen anzusiedeln.

Das ist aber weitgehend gescheitert. Die so genannte Lohnveredelungsindustrie, also Firmen, die nur wegen des niedrigen Lohnniveaus investieren, haben Polen, aber auch Tschechien schon verlassen. Die findet man nun in Rumänien. Polen dagegen ist als Wirtschaftsstandort nur interessant, wenn es auch um qualifizierte Investitionen mit viel Know-how geht.

Sie haben die miserable Lage in Berlin erwähnt. Anstatt Drehscheibe zu werden, gehen die Im- und Exporte von und nach Polen an der Stadt weitgehend vorbei.

Das ist richtig. Die Gründe sind ja bekannt. Mit dem Wegfall der industriellen Arbeitsplätze gibt es einfach weniger zu exportieren als etwa in Nordrhein-Westfalen. Mit der alleinigen Bewertung der Volumina von Exporten und Importen kann man aber den Standort Berlin in Bezug auf Polen zum Beispiel nicht bewerten.

Wie sonst?

Indem man sich die Verflechtungen der Firmen mit denen auf der anderen Seite der Grenze anschaut. Auch da ist Nordrhein-Westfalen wie ganz Westdeutschland auch gegenüber Ostdeutschland weit vorne. Grenznähe allein sagt also noch nichts über wirtschaftliche Kooperationen. Aber im ostdeutschen Vergleich liegen Berlin und Brandenburg vorne.

Auch ein Verdienst der Berliner Politik? Oder ist das allein der Weitsichtigkeit mancher Firmen zu verdanken?

Was Berlin fehlt, sind strategische Konzeptionen, und zwar jenseits dieser neoliberalen Küchenrezepte, die nie begriffen haben, das Polen mehr ist als nur ein Billiglohnland. Auf polnischer Seite ist man da schon weiter, aber auch andere europäische Länder waren da weitsichtiger. Das hat die deutsche Seite und damit auch Berlin ins Hintertreffen gebracht. Was aber den Ausbau einer Ost-West-Wirtschaftsstruktur angeht, hat Berlin durchaus Chancen.

Welche?

Neben der schwachen industriellen Basis gibt es einige Bereiche, in denen Berlin durchaus Kompetenzen dazugewonnen hat. Das betrifft zum Beispiel die wirtschaftlichen Verflechtungen mit Polen, die transnationalen Organisationsnetze, im Bereich von hochwertigen Dienstleistungen, aber auch Forschung und Entwicklung. Da kann Berlin bereits mit München mithalten, davor liegt nur noch Stuttgart.

Gilt das auch für die kleinen und mittelständischen Unternehmen?

Die sind natürlich benachteiligt, weil sie eine besondere Unterstützung brauchen. Sie brauchen, um überhaupt eine Verknüpfung nach Polen herzustellen, Beratung, Hilfe bei Sprachproblemen und so weiter. Da wäre aber schon viel getan, wenn man vorhandene Strukturen ausweitet. In Polen zum Beispiel hat die Deutsch-Polnische Wirtschaftsförderungsgesellschaft einen sehr guten Ruf. Warum baut man das nicht offensiv aus? Der Bedarf ist da.

Von einer Situation, in der bereits intensive Partnerschaften und Kooperationen geschaffen werden, sind wir also nicht weit entfernt.

Es gibt natürlich auch Ausnahmen, aber generell ist da noch viel zu tun. Das betrifft vor allem auch den näheren Grenzraum. Der wird zwar mit Migration nach der Osterweiterung der EU wenig zu tun haben, mit der polnischen Konkurrenz aber umso mehr. Und die ist oftmals flexibler als die deutsche Seite. Das ist auch eine mentale Blockade. Die unmittelbaren Grenzregionen werden auf deutscher Seite eher zu den Verlierern gehören. Die wirtschaftlichen Verbindungen werden zwischen Zentren wie Berlin, Dresden, Szczecin, Poznan und Wroclaw geknüpft.

Gilt das nur für die West-Ost-Richtung oder auch umgekehrt?

Berlin ist nicht nur für polnische Pendler interessant, sondern mehr und mehr auch für polnische Investoren. Das geht weit über die 30 Firmen hinaus, die sich jetzt schon im Ost-West-Kompetenzzentrum in Adlershof angesiedelt haben.

Das polnische Zentrum am Moritzplatz ist gestorben. Offenbar sind Investitionen im Westen für die meisten Firmen immer noch sehr teuer.

Aber der Bedarf ist vorhanden. Ein Beispiel: Der nordostdeutsche Textilverband hat festgestellt, dass nicht mehr nur westeuropäische Hersteller in Polen nähen lassen, sondern dass die polnische Textilindustrie inzwischen auch mit eigenen Marken auf den westeuropäischen Markt drängt, dass sie dort auf den wichtigsten Messen vertreten ist, und zwar mit hochwertigen und nicht nur mit Billigmarken.

Hätte der neue Wirtschaftssenator Harald Wolf also seine erste Auslandsreise besser nach Polen als nach Asien gemacht?

Ja. Mehr noch. Er sollte dort, so oft es geht, hinfahren. Politiker anderer Regionen, die mit Berlin in Konkurrenz stehen, tun das auch. Ein Beispiel ist die Mailänder Region, die mit Poznan einen regen Austausch hat.

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