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DRUCKVERSION Germanys next Pole Position

Elf Bemerkungen zum Wandel des Bildes der Deutschen von ihren Polen

von UWE RADA

1.
In einem seiner Sketche im polnischen Fernsehen schildert der Kabarettist Steffen Möller, wie er 1993 zum ersten Mal nach Polen reiste. Im Zug nach Krakau entdeckte er ein Schild mit dem Hinweis "hamulec bezpieczenstwa". So exotisch klang das polnische Wort für Notbremse in seinen Ohren, dass der damals 26-Jährige beschloss, in Polen zu bleiben. Seitdem gibt er im polnischen Abendprogramm den Deutschen, zum Beispiel als liebenswerter Kartoffelbauer in der Sendung L wie Liebe. Das polnische Publikum dankte es mit tosendem Applaus. Dieser lustige Mensch, der inzwischen perfekt polnisch spricht, soll ein Deutscher sein? Den könnten wir uns doch glatt als Schwiegersohn vorstellen.

Schwiegersohn, das ist so ein Schlüsselwort der Demoskopen. Erst vor Kurzem haben die Forscher des Warschauer "Instituts für öffentliche Angelegenheiten" (ISP) wieder die S-Frage gestellt. Das Ergebnis: Drei von vier Polen können sich inzwischen einen Deutschen als Schwiegersohn vorstellen. Umgekehrt gilt das nicht. Ein Pole oder eine Polin als Schwiegersohn oder Schwiegertochter – das ist nur für zehn Prozent der Deutschen akzeptabel. Immerhin: Die Zahl der Deutschen, denen die Polen unsympathisch sind, geht zurück.

Das deutsche Bild von den Polen – das ist das Ergebnis der Studie, die das ISP und die Konrad-Adenauer-Stiftung 70 Jahre nach Kriegsbeginn vorgestellt haben – ist nicht gut, es ist aber auch nicht schlecht. Ganz ähnlich ist das Bild, das die Deutschen von den in Deutschland lebenden Polen haben. Viel weiß man aber nicht über die zwei Millionen Menschen mit polnischer Muttersprache, die zwischen Rhein und Oder leben, unter ihnen Spätaussiedler, ehemalige Flüchtlinge, Arbeitsmigranten, Künstler und Studierende.

2.
Die Russen in Deutschland, das ist immer auch ein bisschen Wladimir Kaminer, bei den Türken könnte es bald Stürmerstar Mesut Özil sein, die Vorzeigeukrainer sind die Brüder Klitschko. Wer aber ist der Botschafter der Polen in Deutschland? Wo bleibt der polnische Steffen Möller zur Prime Time im deutschen Fernsehen? Wer die Suchmaschinen im Internet benutzt, landet schnell auf Irrwegen. Lieblingspole? Meinten Sie etwa Lieblingsspiele? Und nach Pole kommt auch gleich schon Pole Position. Wo sind sie denn, die Polen in Deutschland? Es gibt ja noch nicht einmal eine für alle sichtbare Community: Zu unterschiedlich ist die Herkunft der polnischen Migranten, zu "europäisch" ihre Hautfarbe.

Also hilft sich die deutsche Öffentlichkeit mit "Ersatzpolen", vorzugsweise auf dem Fußballfeld. Hat nicht der Fußballnationalspieler Lukas Podolski einmal gesagt, sein Herz schlage immer noch polnisch? Spricht er in der Nationalelf mit seinem Stürmerkollegen Miroslav Klose nicht lieber Polnisch als Deutsch? Wie wäre das deutsche Sommermärchen bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 wohl ausgegangen, wenn die Deutschen auf "ihre Polen" hätten verzichten müssen – und Podolski im entscheidenden Vorrundenspiel für die polnische Nationalmannschaft gespielt hätte? Ob der schwindende Unsympathiewert der Polen in Deutschland auch mit Podolski, Klose, Trochowski und Co. zu tun hat, haben die Forscher des Warschauer ISP nicht ermittelt.

3.
Ein Pole in Deutschland. Vor noch nicht allzu langer Zeit war das eine klare Sache. Er Klempner, sie Putzfrau. Man hat ihn ja auch überall gesehen: den Schnauzbart im Blaumann, der aus seinem Kleinwagen mit dem schwarzen Kennzeichen steigt. Oder die nicht mehr ganz so junge Dame mit der schrillen Stimme im Putzfrauenzug von Polen nach Deutschland.

Auch in den Medien fehlten die Pawels und Malgorzatas nicht, schnell lernten die Radiomoderatoren auch das polnische "l", man lebt ja in Europa, und schließlich haben sie es als Kinder schon gehört, als ein Elektriker aus Danzig namens "Wauensa" sich anschickte, den Eisernen Vorhang zu lüften. An der Botschaft der zahlreichen Beiträge aber änderte sich wenig. Pawel und Malgorzata, der polnische Klempner und die polnische Putzfrau, waren ebenso wenig Sympathieträger, wie die polnische Migration nach Deutschland ein Gewinnerthema war. Eher war es so, dass die Pawels und Malgorzatas den Deutschen etwas wegnahmen, obwohl sich schon lange kein Deutscher mehr bei der Spargel- oder Gurkenernte hatte sehen lassen.

Stereotype sind hartnäckig, das wissen auch die Werbeleute. Images aber lassen sich ändern. In Frankreich wurde dem polnischen Klempner deshalb ein neues Bild verpasst. Das war im Jahre 2005, als die Franzosen in einem Referendum über die EU-Verfassung abstimmen sollten. Schon zuvor hatten die EU-Skeptiker und Populisten des "Mouvement pour la France" den "plombier polonais", den "polnischen Klempner", als Zeugen gegen allzu große Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt ins Feld geführt. Im Gegenzug forderten die französischen Sozialisten, dem "polnischen Klempner" ein Denkmal zu setzen. Gut gemeint, Stereotyp bestätigt.

In dieser Situation entschloss sich das polnische Tourismusministerium zu einer ungewöhnlichen Plakatkampagne. Umrahmt von einer Berg-, Wald- und Wiesenkulisse, verkündete ein kalifornisch aussehender Pole mit Muskelshirt und einer Rohrzange unterm Arm seine Botschaft: "Ich bleibe in Polen. Wann kommen Sie?" Die Kampagne schlug ein wie eine Bombe – und das Bild vom Klempner aus Polen war fortan ironisch gebrochen. Das Referendum zur EU-Verfassung ging trotzdem daneben. Die Mehrheit der Franzosen – und auch der Französinnen – stimmte mit "Non".

In Deutschland hat es keine solchen Plakate gegeben. Warum nicht? Hat das polnische Tourismusministerium den Humor der Deutschen unterschätzt? Oder hat es ihn richtig eingeschätzt? Haben die Kampagnenleute in Warschau gar ein Bild von den Deutschen als humorlosen Zeitgenossen? Oder lag es daran, dass es in Deutschland kein Referendum gab?

4.
Einer, der ein bisschen der Steffen Möller in Deutschland hätte werden können, ist Adam Soboczynski. Schon in der Eingangsszene seines Buches Polski Tango zaubert er in einer Krakauer Bar mit ein paar Pinselstrichen die "slawische Seele" aufs Papier: "Kayah, die polnische Sängerin, sang vom Tabak, vom ungesunden Rauch, der auch diese Kneipe ausfüllte. Ein langsamer Tango, fast getragen, nur wenige Jahre alt, wie ich später erfuhr, ein Retro-Stück, doch es klang, als wäre es in den Zwanzigern eingespielt worden. Unterlegt vom Cello sang Kayah: 'Lass den Tabakbeutel hier, lass ihn mir für immer, als ein Zeichen deiner Liebe' – 'Na zawsze zostaw, jak znak milosci twojej.'"

Adam Soboczynski, geboren 1975 in Torun (Thorn), kam mit seinen Eltern 1981 nach Deutschland. Mit Polski Tango unternimmt er die Reise noch einmal, diesmal in umgekehrter Richtung. Er will wissen, was von Polen noch in ihm steckt. Polski Tango ist also auch ein Identitätsbuch, die Suche eines Deutsch-Polen oder Polen-Deutschen nach dem, was die Soziologen Bindestrich-Identität nennen.

Aber nicht nur nach Krakau, Warschau und Masuren führte die Reise von Soboczynski, sondern auch ins Kindesalter seiner Ankunft in Deutschland. Plötzlich erinnert er sich wieder, was ihm das neue Land abverlangte, sogar eine neue Sprache hieß es zu lernen. "'Pause' war eines der ersten Wörter, die ich verstand, auch 'Stillarbeit'. Bei 'Stillarbeit' wusste ich, dass die Lehrerin eine 'Pause' machte und in einer Illustrierten blätterte, während die Schüler sich selbst überlassen wurden. Und dass die Schüler wiederum, 'Stillarbeit' vortäuschend, nichts anderes taten, als auf das 'Läuten' der 'Klingel' zu warten, bis sie selbst eine 'Pause' hatten. Langsam ergaben die Wörter einen Sinn, bildeten Zusammenhänge."

5.
Die deutsche Kritik reagierte mit Begeisterung. Plötzlich war da ein Buch, das man lange erwartet und nun in den Händen hatte. Endlich war da eine Stimme, der Sound eines Deutsch-Polen, der etwas unternommen hatte, was den Deutsch-Türken schon lange selbstverständlich ist – das Spiel mit den kulturellen Zuschreibungen, das Hin- und Herswitchen zwischen den Identitäten, das Abklopfen der Stereotype auf ihren Wahrheitsgehalt. Wenn Deutschland schon keinen Vorzeigepolen hatte, zwei halbe Polen, Podolski und Soboczynski, waren ja auch nicht schlecht.

Doch das Publikum machte die Rechnung ohne den Wirt. Schon am Ende von Polski Tango war es angedeutet. Die letzte Reise, die Adam Soboczynski nach Polen unternahm, führte in sein Heimatdorf und dort zu Grażyna. Doch nicht seine Jugendliebe fand er in den Masuren, sondern eine Frau, die ihm fremd war: "Grazyna schiebt den Kinderwagen. Wir setzen uns auf eine Bank zwischen den Blöcken, eingehüllt in Winterjacken. Sie blieb immer in dieser Straße, heiratete früh. Sie sagt, genau das, was sie habe, einen Mann, drei Kinder, diese Stadt, in der sie lebe, das sei doch ein großes Glück."

Es gibt Wiedersehen, resümiert Soboczynski hinterher, "die sind trauriger als jeder Abschied. Sie greifen die Bilder der Vergangenheit an, entwerten das, was wir mühsam konservierten: unsere verklärte Vergangenheit." Schon mit der polnischen Sprache hatte er seine liebe Mühe, wie ihn ein Pole in der Krakauer Bar belehrte. "'Ein schöner Polski Tango', sagte ich zu meinem Tresennachbar. Er verbesserte mich: 'Es heißt Polskie Tango'. 'Denn Tango', sagte er, 'ist ein Neutrum.'"

Kurz nach seinem Erfolg mit Polski Tango verkündete Adam Soboczynski, künftig nichts mehr über den Polen in sich zu schreiben. Sein nächstes Buch hatte den Titel Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst sich zu verstellen. Aus dem Deutschen, der sich nach Polen aufgemacht hatte, um den Polen in sich zu finden, war wieder ein Deutscher geworden.

6.
Was Soboczynski erzählt, ist im Grunde die Geschichte einer gelungenen Integration. Einer Integration, die manchmal, wie bei seinen Eltern, sogar zu gut gelungen war. Kaum waren sie 1981 in Deutschland angekommen, rasierte sich der Vater den Schnauzbart ab, die Mutter tauschte ihre Röcke gegen Jeans. In ihrer Wohnung aber, verrät Soboczynski, war bis heute kein Deutscher zu Besuch. Das klingt, trotz allem, auch ein bisschen nach Lost in Translation. Andere Kinder suchen in solchen Situationen andere Lösungen. Kein Beispiel gelungener Integration sind sie dann, sondern Hin- und Hergerissene, die ihre Herkunft und nationale Identität in den Vordergrund stellen. Aus Adam Soboczynski hätte auch ein polnischer Nationalist werden können.

Meistens aber gelingt sie, die Integration. Auf die Frage, ob er beim letzten Vorrundenspiel der WM 2006 für die Polen oder die Deutschen die Daumen gedrückt habe, antwortet Soboczynski diplomatisch, Polen sei keine Turniermannschaft. Das war eindeutig. Viel eindeutiger als Lukas Podolski. Nach dem Sieg gegen Polen hatte sich der in Gleiwitz geborene Kölner mit Jubelgesten vornehm zurückgehalten. Stattdessen war er nach dem Schlusspfiff auf die Tribüne geklettert und hatte seine Eltern, Verwandte, alte Freunde umarmt, die allesamt mit weiß-roten Schals und Fahnen angereist waren. Hinterher sagte Podolski nur: "Ich habe eine sehr große Familie in Polen, bin dort geboren. Daher muss man auch ein bisschen Respekt für das Land haben."

Trotz des Siegs im schwarz-rot-goldenen Trikot war Podolski ein bisschen Pole geblieben. Einer, der weiß, wer er ist und wo er herkommt, was Familie ist und Heimat, aber auch, wo seine Zukunft liegt. Mit Nation und Ethnie hat das wenig zu tun, eher damit, ein paar Credits zu verteilen – in die eine wie in die andere Richtung.

7.
Dass Podolskis Ausflug auf die Tribüne am Ende Episode blieb und die Sympathie der Deutschen für ihre Polen für die Demoskopen kaum messbar, hatte auch mit dem Gang der großen Politik zu tun. Seit 2006 konzentrierte sich die deutsche Öffentlichkeit nicht mehr nur auf Klempner, Putzfrauen und Ersatzpolen, sondern auch auf ein Brüderpaar, das in Polen gerade eine nationalkonservative Wende vollzogen hatte. Schon vor dem Staatsbesuch hatte sich im März 2006 vor der Berliner Humboldt-Universität eine Menschenmenge versammelt. Mit Regenbogenfahnen standen die Demonstrantinnen und Demonstranten auf der Straße des 17. Juni – und bildeten ein Spalier. Jeder, der der sogenannten Berliner Rede des polnischen Staatspräsidenten Lech Kaczynski im Auditorium Maximum folgen wollte, musste durch diese Gasse von Lesben, Schwulen und Sympathisanten. Grund des Aufruhrs: Als ehemaliger Stadtpräsident von Warschau hatte Kaczynski mehrmals die "Parada Rownosci", den Warschauer Christopher Street Day, verbieten lassen.

Vor allem für die Vertreter der Berliner Polonia, wie die Auslandspolen sich nennen, war das eine Zumutung. Lautstark verschafften sie ihrem Unmut Luft, rümpften die Nase oder schauten beschämt zu Boden. Damit bestätigten die Herren und Damen in schwarzen Anzügen und Kostümen einmal mehr, was das Berliner Publikum über die Polen in Deutschland zu wissen glaubte: Wenn schon kein Klempner, dann wenigstens patriotisch, katholisch und schwulenfeindlich – ganz so wie ihr Präsident in Warschau.

Tatsächlich hat die Ära der Brüder Kaczynski nicht nur politischen Schaden in der Europäischen Union angerichtet. Sie hat auch dem Bild der Polen in Deutschland ein paar schwere Kratzer zugefügt. Auch das ist das Ergebnis der Befragung des Warschauer ISP zum 70. Jahrestag des Kriegsbeginns. Gegenüber 2006, wo noch 60 Prozent der Deutschen das Verhältnis zu Polen als sehr gut oder gut bezeichnet hatten, lag die Zahl zwei Jahre später bei nur noch 48 Prozent. Demgegenüber stieg die Zahl jener, die die deutsch-polnischen Beziehungen eher als schlecht oder sehr schlecht bewerteten – von 29 Prozent 2006 auf 35 Prozent 2008. "In beiden Fällen", meint dazu Agnieszka Lada vom ISP, "kann der Rückgang mit einer realistischen Einschätzung jener Situation erklärt werden, in der sich die politischen Beziehungen zwischen Warschau und Berlin 2007 nicht freundlich gestalteten."

8.
Sehr zum Erstaunen des Berliner Publikums waren an jenem Märzmorgen 2006 aber nicht nur schwarzgekleidete polnische Patrioten zur Humboldt-Universität gekommen, sondern auch polnische Demonstranten. Einer von ihnen, Tomasz Baczkowski, ist Schwulenaktivist und lebt seit zehn Jahren in Berlin. Seiner Beobachtung nach hat sich die Stadt schon lange vor den Kaczynskis zu einem Mekka für polnische Schwule und Lesben entwickelt. "Es sind vor allem junge Leute aus der Provinz, die nach Berlin kommen", sagte er. "Zuhause weiß keiner, dass sie homosexuell leben. Erst in Berlin können sie sich dazu bekennen."

Auch Magda Liskowska weiß um die homosexuellen Migranten aus Polen. Im Frühjahr 2006 hatte sie in der Studienberatung der Humboldt-Universität gearbeitet und festgestellt: "Von den jungen Polen, die als Studenten der Slawistik an die Uni kommen, ist fast jeder dritte schwul." Einmal, erinnert sie sich, kam einer zu ihr in die Beratung und rief: "Magda, Magda, endlich kann ich sagen, dass ich schwul bin."

Auch wenn die Zahlen übertrieben sein mögen: Tatsache ist, dass in der deutschen Hauptstadt inzwischen knapp 2.000 junge Polinnen und Polen studieren, das ist die größte Gruppe ausländischer Studierender in Berlin. Und sie haben begonnen, das Bild von den Polen zu verändern, zuerst bei ihren Kommilitonen, später auch in der öffentlichen Wahrnehmung. Mit Demonstrationen wie der im März 2006 haben die Deutschen zur Kenntnis genommen, dass es nicht nur "undankbare Polen" wie die Kaczynski-Brüder gibt, sondern auch eine gesellschaftliche und politische Opposition. Mehr noch: In der Diaspora überwogen die Kaczynski-Gegner. Nicht nur katholisch, konservativ und schwulenfeindlich können Polen also sein, sondern weltoffen, liberal, europäisch. So hat die Politik der Kaczynskis dem Polenbild der Deutschen nicht nur Schaden zugefügt. Sie hat nolens volens auch Sympathien für die "anderen Polen" hervorgerufen – vor allem im Ausland.

9.
Schaut man an polnischen Marktplätzen und Bahnhöfen auf die großflächige Werbung irgendwelcher Billigairlines, hat man noch immer den Eindruck, die polnische Migration ins Ausland sei vor allem eine Arbeitsmigration. Was für Großbritannien, Irland oder Norwegen zutrifft, gilt für Deutschland, und da vor allem für Berlin, schon lange nicht mehr. Nicht nur zum Studienort für junge Polinnen und Polen ist Berlin geworden, sondern auch zu einer kulturellen Drehscheibe. Alleine der Blick in die Programmteile der Stadtmagazine zeigt: Kein Tag ohne das Konzert einer polnischen Band, ohne eine Ausstellung mit einer polnischen Künstlerin, einen Film aus Polen. Schon ist in Berlin die Rede von den "neuen Polen".

Sind die Polen in Deutschland damit sichtbarer geworden? Nein, sagt die 33-jährige Anna Krenz, die in Berlin-Kreuzberg die Galerie Zero betreibt. Das hat aber vor allem mit dem Selbstverständnis der "neuen Polen" zu tun, die sich wie Anna Krenz eher als internationale Künstler verstehen und nicht ethnisch definieren. "Den Besuchern und Künstlern ist unsere Nationalität egal." Ganz bewusst umgehen Krenz und die jungen Polen ihrer Generation damit die vom Publikum so gerne bereitgestellte Ethnofalle. Im Gegensatz zum "russischen Berlin", das als eigenständige Community immer noch wahrgenommen wird, ist das junge polnische Berlin international vernetzt. Deutsche Bands spielen in Posen, Posener Bands in Berlin und beide auf einem Festival in Warschau. Nicht mehr polnische Künstler wollen die "neuen Polen" sein, sondern Künstler aus Polen.

Den Weg für solche postnationalen Identitäten hat der "Club der polnischen Versager" bereitet. Gegründet wurde er von Künstlern, deren Eltern in den achtziger Jahren nach Berlin gekommen waren, viele von ihnen als Flüchtlinge. Dabei hatten sie auch mitbekommen, dass das Schicksal von Exilanten nicht mit dem der Pendler nach dem Fall der Mauer vergleichbar war. Eine Rückkehr war damals nicht möglich, die Brücken zur Heimat waren abgerissen. Erst der zweiten Generation war es vorbehalten, den Faden zu Polen wiederaufzunehmen – und die Künstler im "Club der polnischen Versager" taten es mit Bravour. Virtuos spielten sie auf der Klaviatur der Stereotype und Klischees und avancierten zu Akteuren des postmodernen Kulturtransfers. Und siehe da: Selbst die polnische Botschaft führte ihre Besucher mitunter, augenzwinkernd natürlich, in den Club.

So hätte der "Club der polnischen Versager", wenn er denn eine reale Person gewesen wäre, bestimmt den Zuschlag für "Germanys next top Pole" erhalten. Aber mit der Transformation der Klischees ist es so eine Sache. Mitunter trifft sie auch diejenigen, die sich die Transformation auf die Fahne geschrieben haben. Inzwischen ist der Club längst kein polnischer Club mehr, sondern ein Berliner, soll heißen ein internationaler Club. Für Tomasz Dabrowski, den Direktor des polnischen Instituts in Berlin, ist das allerdings kein Problem, sondern ein weiterer Mosaikstein im Wandel des Bildes von den Polen. "Vor allem in Berlin", sagt er, "haben die Polen ihr Putzfrauenimage abgelegt".

10.
Von einer solchen Umbewertung von Images und Selbstbildern kann Wally Olins nur träumen. Seit 2003 berät der britische Werbepapst die polnische Handelskammer in der Frage, wie die Außendarstellung Polens verbessert werden kann. Als ersten Schritt sammelte Olins zunächst all die Klischees, die in den europäischen Ländern über Polen kursieren, und stellte fest: Die Polen gibt es gar nicht. In einem Interview sagte er: "Ich muss ihnen nichts über die Vorurteile der Deutschen erzählen. Die Polen sind katholisch, konservativ und haben es auf deutsche Autos abgesehen. Das Misstrauen in Deutschland war groß, doch es wird schwächer. In Großbritannien hat sich das Image der Pole stark verbessert. Seit dem EU-Beitritt sind Hunderttausende gekommen, um hier zu arbeiten. Es sind fleißige, gut ausgebildete Menschen, die sich gut integriert haben."

Der Vergleich zwischen dem deutschen und dem britischen Polenbild ist insofern interessant, als er unterstellt, dass das Bild des "polnischen Klempners" dann zu bröckeln beginnt, wenn dieser nicht mehr mit dem Menetekel der Illegalität behaftet ist. Öffnet ein Land wie Großbritannien seine Arbeitsmärkte, kommen zwar auch die Klempner. Nun aber arbeiten sie legal und gelten plötzlich als fleißig und gut integriert. Die Rolle der Wirtschaft bei der Wahrnehmung der polnischen Migration hat sich auch in Deutschland geändert. Seit dem EU-Beitritt haben sich alleine in Berlin 4.500 Unternehmen aus Polen niedergelassen. Unter ihnen sind zwar zahlreiche Ein-Mann-Betriebe, aber sie bestimmen längst nicht mehr die Schlagzeilen. Im Mittelpunkt des Interesses stehen nun innovative Unternehmen, die auch Arbeitsplätze schaffen. Nicht mehr nur der Schwiegersohn aus Polen droht den Deutschen inzwischen, sondern auch ein polnischer Chef.

Olins hat seine Aufgabe, den Polen ein neues Image zu verpassen, mit einem Slogan auf Englisch gemeistert: creative tension, kreative Spannung: "Wir wollten den gespaltenen Charakter des Landes mit seiner bewegten Geschichte nicht verleugnen, sondern positiv besetzen. Die Polen sind sehr fleißige, kreative Menschen voller Ideen und Unternehmergeist. Aber zugleich sind sie anarchisch und nicht teamfähig." Harter Tobak für manchen, doch das Bild Spaniens vor dem EU-Beitritt sei nicht viel anders gewesen, sagt Olins. Heute dagegen habe Spanien ein modernes Image. Olins' Fazit: "Polen könnte das neue Spanien sein."

11.
Vielleicht gibt es in Deutschland inzwischen doch einen Steffen Möller – Steffen Möller selbst. Nicht mehr nur im polnischen Fernsehen ist der Kabarettist inzwischen ein Star, sondern auch in Deutschland. Das hat vor allem mit einem Buch zu tun: Kaum war Viva Polonia erschienen, waren bereits 80.000 Exemplare verkauft. Zwar argwöhnte sein Verlag, der Erfolg habe mehr mit dem Interesse an der Person Möller und weniger mit dem Interesse der Deutschen an Polen zu tun. Bei einer Buchpräsentation, zu der die polnische Botschaft in Berlin eingeladen hatte, meinte ein älterer Herr allerdings: "Einen Bezug zu Polen habe ich nicht, ich war auch noch nicht dort. Aber wenn es dort so lustig ist, wie in dem Buch beschrieben, kann das ja noch werden."

Hätte ein Pole über das lustige Polen geschrieben, wäre die Botschaft womöglich untergegangen. Nun aber schreibt ein Deutscher, der in Polen lebt, und dem will man gerne glauben. So sind sie, die Deutschen. Und so sind sie, die Polen.

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