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DRUCKVERSION Königin im Osten

Luise in Russland und Litauen. Ein Vortrag zur Ausstellung "Luise. Leben und Mythos der Königin"

von UWE RADA

Sie alle kennen das Bild: Luise vor einer Treppe, ganz in Weiß gekleidet, neben ihr Napoleon Bonaparte. Gleich wird der französische Kaiser die preußische Königin die Stufen hoch geleiten. Die berühmte Szene aus Tilsit hat der Maler Nicolas Louis Gosse auf einem Bild festgehalten, das heute in der Galerie von Schloss Versailles hängt. Höflich reicht Napoleon der Luise die Hand, ihr Mann, Preußens König Friedrich Wilhelm III. steht dahinter. Er wird nicht dabei sein, wenn Napoleon und Luise miteinander parlieren – und über Preußens Schicksal entscheiden. Denn darum geht es bei dieser Begegnung am 6. Juli 1807. Durfte Preußen nach seinen verheerenden Niederlagen gegen Frankreich eine europäische Großmacht bleiben? Oder würde es zur Mittelmacht degradiert werden, schmerzhafte Gebietsverluste inbegriffen? Luises Bittgang war ein Rettungsversuch in letzter Minute. Bereits drei Tage später sollte in Tilsit an der Memel jener Friedensschluss besiegelt werden, der bald als "Frieden von Tilsit" in die Geschichtsbücher eingehen wird.

Sie alle wissen auch, wie der Bittgang endete. Am Arm des "verhassten Franzosen" stieg Luise die Treppen hinauf – und war ganz und gar Diplomatin. "Ich benutze diesen Moment freimütig mit ihnen zu sprechen", soll sie gleich zum Anfang der Unterredung gesagt haben. "Wir haben einen unglücklichen Krieg geführt, Sie sind der Sieger, aber soll ich annehmen, dass Sie ihren Sieg missbrauchen wollen?"

Napoleon war, wie er später an seine Frau Joséphine schrieb, verblüfft über die Offenheit Luises – und angetan von ihrer Erscheinung:

"Meine Freundin, die Königin von Preußen, hat gestern Abend mit mir diniert. Ich musste mich vorsehen, denn sie wollte mich dazu bringen, noch einige Zugeständnisse zugunsten ihres Ehemannes zu machen; dabei war ich galant und habe mich ganz an die Politik gehalten. Sie ist sehr liebenswürdig."

Glaubt man der Legende, soll das Treffen des kleinen Kaisers mit der schönen Luise tatsächlich auf des Messers Schneide gestanden haben. Nachdem Luise ihre Bitte um die Verschonung Preußens vorgetragen hatte, soll Napoleon, berückt von ihrem Charme, gesagt haben. "Wir wollen sehen". In dem Moment jedoch, auch das gehört wohl zur Legende, platzte der preußische König herein und alles war vertan. Napoleon muss ein Stein vom Herzen gefallen sein, sagte er doch später: "Eine Viertelstunde noch, und ich würde der Königin alles versprochen haben."

So aber kam, was kommen musste. Napoleon blieb hart und Luise machte aus ihrer Enttäuschung kein Hehl. Berühmt sind bis heute jene Worte, die ihm die Königin am Ende der Unterredung an den Kopf geworfen haben soll. "Sire, vous m’avez cruellement trompé."– "Sire, Sie haben mich auf grausame Weise getäuscht." Am 9. April 1807 war das Schicksal Preußens besiegelt. Im Frieden von Tilsit verlor es fast die Hälfte seines Territoriums, darunter alle Gebiete westlich der Elbe, dazu Danzig und die Beute aus den polnischen Teilungen. Luise aber, die nur drei Jahre später starb, sollte als "preußische Madonna" und als "Königin der Herzen" in die preußische Geschichte eingehen.

Das ist, wenn auch verkürzt, die preußische und später die deutsche Rückschau auf jenen 6. Juli 1807 im damals ostpreußischen Tilsit? Welche Rolle aber spielt der Tilsiter Frieden im Gedächtnis der Stadt, die heute Sowjetsk heißt, und zur russischen Exklave Kaliningrad gehört? Was ist die russische Rückschau auf den bitteren Gang der Luise zu Napoleon?

Seit Juli 2007 steht in Sowjetsk, auf dem ehemaligen Fletcherplatz, der heute zentralnaja ploschtschadj heißt, ein Gedenkstein. Auf ihm steht auf Französisch, Deutsch und Russisch "Paix de Tilsit", "Tilsiter Frieden" und "Tilsitskij Mir". Zweihundert Jahre nach dem Tilsiter Frieden waren Russland, Frankreich und Deutschland in Sowjetsk zu einer Gedenkfeier zusammengekommen. Die Initiative dafür war von der russischen Seite ausgegangen. Schon zwei Monate zuvor hatte im Hotel "Rossija" in Sowjetsk eine Konferenz stattgefunden – gewissermaßen der intellektuelle Auftakt der Feierlichkeiten. "Der Tilsiter Friede als Prototyp des Europäischen Hauses", lautete der Titel des Symposiums. Vor allem das Tilsiter Vertragswerk von 1807 hatte es Historikern und Politikwissenschaftlern angetan – es galt als Meisterwerk der Diplomatie und russischer Verhandlungskunst. In Tilsit, resümierten vor allem russische Experten, seien die Grundlagen europäischer Friedensarchitektur gelegt worden.

Allzu pompös gerieten die Feierlichkeiten freilich nicht. Ursprünglich auf Präsidentenebene angesetzt, kam am Ende nur die zweite Reihe. Die nachgespielten historischen Szenen in historischen Kostümen fanden in strömendem Regen statt.

Dennoch hat der Juli 2007 in Sowjetsk etwas Bleibendes hinterlassen. Nicht nur, weil in Sowjetsk erstmals eine Miss Luise gewählt wurde (Den Titel bekam übrigens Anna Oborska, eine Polin). Auch die Brücke, die über die Memel ins litauische Panemune führt, trägt seitdem wieder ihren alten Namen: Königin-Luise-Brücke. Hammer und Sichel mussten weichen, am monumentalen Brückenportal hängt wieder die Büste der preußischen Königin. Auch im Kaliningrader Gebiet ist die deutsche Geschichte, allen Gegentendenzen zum Trotz, kein Tabu mehr. Königin Luise Brücke: Das war auch der Name für die Brücke, die 1907 im Gedenken an die Ereignisse 1807 eingeweiht wurde.

Woher aber der Sinneswandel? Warum plötzlich die Luise statt Hammer und Sichel? Warum wird in Sowjetsk sogar ernsthaft darüber diskutiert, den Namen der Stadt wieder in Tilsit rückzubenennen. Will man verstehen, was Erinnerungskultur und Geschichtspolitik im Kaliningrader Gebiet motiviert, muss man sich noch einmal die Ereignisse rund um jenen 6. Juli 1807 vergegenwärtigen.

Eine besondere Rolle spielt dabei der Zar. Luise und ihr Mann König Wilhelm III. haben Alexander I., nach dem in Berlin der Alexanderplatz benannt ist, zum ersten Mal 1802 in Memel getroffen, dem nordöstlichsten Zipfel des preußischen Königsreichs. Bald entwickelte sich zwischen dem preußischen Königshaus und dem russischen Zarenhof eine – nicht nur persönliche – Freundschaft. Die Ausstellung "Macht und Freundschaft" hat die besonderen Beziehungen zwischen Preußen uns Russland unlängst auch in Berlin in Erinnerung gerufen.

Bei den Friedensverhandlungen in Tilsit fünf Jahre später konnte sich Friedrich-Wilhelm also der Unterstützung durch den Zaren sicher sein. Tatsächlich war es Alexander I. der im Ringen mit Napoleon eine völlige Zerschlagung Preußens verhinderte. Das Bündnis Preußen-Russland hielt der Bewährungsprobe Tilsit stand.

Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass die außenpolitische Dimension des Tilsiter Friedens auch im Mittelpunkt einer Luisenausstellung stand, die im Juni 2007 im Stadtmuseum von Sowjetsk gezeigt wurde. Nicht nur vom Treffen Luises mit Napoleon und der Niederlage Preußens war da die Rede, sondern auch von den preußisch-russischen Beziehungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Die hatte auch Napoleons Russland-Feldzug nicht beschädigen können, obwohl mit der Grande Armée am 24. Juni 1812 auch preußische Soldaten den Njemen überquerten. Nach Napoleons Niederlage aber hatte Preußen die Gelegenheit ergriffen und das unfreiwillige Bündnis mit Frankreich beendet. Was folgte, kennen sie: Die Befreiungskriege, Napoleons Sturz, die Rehabilitierung Preußens während des Wiener Kongresses.

Alexanders Veto gegen die Zerschlagung Preußens war also Teil eines strategischen Bündnisses zwischen den Hohenzollern und den Romanows. Immer wieder wurde dieses Bündnis auch durch Heiratspolitik bekräftigt. So ehelichte Luises Tochter Charlotte 1817 den späteren Zaren Nikolaus I. Nicht die militaristischen Traditionen Preußens, wegen derer Stalin 1945 das nördliche Ostpreußen als Beute beanspruchte, stellt die russische Luisenrezeption in den Vordergrund, sondern die deutsch-russische Freundschaft, deren jüngster Ausdruck die Ostseepipeline von Gerhard Schröder und Wladimir Putin ist.

Doch nicht nur in Russland hat man in jüngster Zeit der Luise gedacht, sondern auch in Litauen. Das litauische Erinnern an die preußische Königin folgt dabei freilich anderen Motiven als das russische. Im Mittelpunkt steht weniger die nationale Geschichtspolitik, sondern die regionale Perspektive. In Klaipeda, dem früheren Memel, weiß man sehr genau, was die Stadt dem preußischen Königspaar zu verdanken hat. Schon 2004 ist in der litauischen Hafenstadt ein Buch erschienen, das das besondere Verhältnis von Luise und Meml zum Thema hat. Die Autorinnen Rasa Krapaviciute und Jovita Sauleniene erinnern daran auch an die erste Begegnung Luises mit Alexander I. Das erste Treffen des preußischen Königshauses mit einem russischen Zaren seit der Begegnung von Friedrich I. und Peter dem Großen 1701 fand im Juni 1802 statt, Luise und Friedrich Wilhelm hatten gerade ihre erste Rundreise durch Ostpreußen angetreten.

Am 7. Juni reiste das preußische Königspaar in Königsberg ab und erreichte über den alten Postweg, der über die Kurische Nehrung führte, am anderen Tage den Memeler Ortsteil Sandkrug, heute Smyltine. Beim Übersetzen über das Haff wurden sie von zwölf Mädchen begleitet, die "eigenartig wohlklingende Volkslieder" sangen. Auch später wurden Luise und Friedrich-Wilhelm immer wieder mit deutschen und litauischen Liedern in Memel begrüßt.

Alexander kam von Norden nach Memel geritten, wo sich die russisch-preußische Grenze befand. Von diplomatischer Zurückhaltung war bald nichts mehr zu spüren. Nach einer Parade am 12, Juni gab es am Abend einen Ball, den Luise und Alexander feierlich eröffneten. Zeitzeugen berichteten damals, dass "des jugendlichen Zaren Lippen überflossen von Tugend und Rechtschaffenheit, von Menschenliebe und Völkerbeglückung." Friedrich Wilhelm meinte zu Luise: "Das kann ich dir versichern, die Russen haben nie so einen Kaiser gehabt wie diesen."

Luise selbst fand Alexander keineswegs "regelmäßig schön", aber sein Wesen erschien ihr von "engelhafter Güte". Es war eine Begegnung, die beide, Luise und Alexander, tief beeindruckt haben muss – und es war der Beginn einer romantischen Schwärmerei. Friedrich Wilhelm übrigens, mit dem Luise, damals nicht unbedingt üblich, eine Liebesheirat eingegangen war, störte sich nicht an der "Herzensfreundschaft" seiner Frau mit dem Kaiser. Wohl wusste er, schreiben Krapaviciute und Sauleniene, dass die Beziehung rein und edel war. Zum andern war ihm bewusst, wie wichtig das Bündnis Preußens mit Russland war. Schon drei Jahre später sollten sich Friedrich Wilhelm und Alexander erneut treffen – zum Treueschwur am Grab Friedrichs des Großen in Sanssoucci.

Das Treffen im Juni 1802 war der erste von insgesamt vier Aufenthalten des preußischen Königspaars in Memel. Es war allerdings bei weitem das glücklichste. Schon der zweite Besuch war untrennbar mit der Niederlage gegen Napoleon verbunden. Nach der Flucht des preußischen Hofes von Berlin nach Königsberg, war bald auch die größte Stadt Ostpreußens nicht mehr sicher. Schon im Januar 1807 mussten Luise, Friedrich Wilhelm und ihre Kinder Königsberg verlassen. Erneut ging es über die Kurische Nehrung nach Memel. Hier, in unmittelbarer Nähe zur russischen Grenze, war das Königspaar vorerst sicher. Wenn auch nicht freiwillig, konnte sich Memel seitdem rühmen, neben Berlin, Versailles und Königsberg eine der Regierungssitze Preußens gewesen zu sein.

Doch der Kontrast zwischen der neuen Rolle der Stadt und ihrer eigentlichen Bedeutung war groß: Zur damaligen Zeit hatte Memel 5.080 Einwohner, die in 687 Privathäusern lebten. Neben 556 Stadtbürgern zählte die Stadt, die am Memeler Tief, der Meerenge zwischen Kurischem Haff und der Ostsee gelegen war, 120 Kaufleute und 436 Handwerker. Das Königspaar kam im Haus des Kaufmanns Consentius unter, das direkt am Ufer der Dange gelegen war. Noch heute erinnert an dem Gebäude, das in den 1840er Jahren zum Memeler Rathaus umgebaut wurde, eine Gedenktafel in litauischer und deutscher Sprache an den hohen Besuch:

"In diesem Hause residierten König Friedrich Wilhelm III. und Königin Luise in den Jahren 1807-1808 auf der Flucht vor Napoleon."

Anders als der König konnte Luise an Memel allerdings keinen Gefallen finden. Das lag nicht nur am feuchten Klima, das ihr zu schaffen machte, sondern auch an der gesellschaftlichen Langeweile, die sie in der Provinzstadt vorfand. In einem zeitgenössischen Reisebericht von 1814 heißt es:

"Die Damen sprechen ein erbärmliches Französisch, singen kläglich, spielen das Pianoforte mittelmäßig und handhaben die Gitarre zum Bejammern. Den Frauen ist durchaus jeder Anstrich von wissenschaftlicher Bildung fremd, daher ist die Unterhaltung mit ihnen keineswegs anziehend, und die dabei gegenwärtigen jungen Herrn sind durchaus unerträglich."

Doch das preußische Königshaus hatte keine andere Wahl. Napoleon befand sich auf dem Vormarsch. Am 10. Juni 1807 fiel Danzig, und in der Schlacht von Friedland mussten kurze Zeit später auch die russischen Truppen eine Niederlage gegen Frankreich hinnehmen. In dieser scheinbar aussichtslosen Lage begab sich Friedrich Wilhelm am 18. Juni nach Tauroggen, dem Aufenthaltsort Alexanders. In Memel selbst wurden, einmal mehr, Vorbereitungen für eine Flucht unternommen. In einem Brief vom 17. Juni schrieb Luise an ihren Vater:

"Es ist wieder aufs Neue ein ungeheures Unglück und Ungemach über uns gekommen, und wir stehen auf dem Punkt, das Königreich zu verlassen, vielleicht auf immer. Ich gehe, sobald dringende Gefahr eintritt, nach Riga. Gott wird mir helfen, den trüben Augenblick zu bestehen, wo ich über die Grenzen meines Reiches muss."

Man muss wohl diese Verzweiflung kennen, um zu verstehen, wie es am 6. Juli 1807 zum Bittgang Luises zu Napoleon kommen konnte.

Tatsächlich hatten Napoleons Truppen Tilsit am 19. Juni 1807 gegen Mittag erreicht. Die Russen zogen sich über die Memel zurück und brannten die einzige Brücke nieder. In seinem Tagebuch notierte Tilsits Justizkommissarius Ernst-Ludwig Siehr: "Die russische Armee nahm ihre Stellung jenseits des Stroms auf den städtischen Wiesen, errichtete Batterien gegen die Stadt und die französische diesen gegenüber auf dem städtischen Bollwerk."

Zur neuerlichen Flucht nach Riga kam es allerdings nicht. Am 24. Juni vereinbarten die Kriegsparteien einen Waffenstillstand und erklärten Tilsit zur neutralen Stadt. Schon zuvor hatten sich Napoleon und seine Entourage in Ernst-Ludwig Siehrs Justizkommissariat in der Deutschen Straße 24 einquartiert. Nach dem Waffenstillstand verließ Alexander Tauroggen und bezog Quartier in der Deutschen Straße 21, gleich neben der Deutschen Kirche. Da diese nun im "russischen Teil" der Memelstadt lag, konnte Napoleon nicht, wie beabsichtigt, den Turm der Kirche abtragen und nach Paris bringen lassen.

Friedrich Wilhelm war unterdes in Piktupönen geblieben, einem kleinen Dorf am rechten Ufer der Memel. Rückwirkend betrachtet kann man diese zögerliche Haltung auch als Auftakt zu ersten Demütigung betrachten, die tags darauf stattfand. Nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandes hatten am 25. Juni die Friedensverhandlungen begonnen – auf zwei Flößen mitten auf der Memel. Die Flöße hatten französische Festungspioniere und 150 Zimmerleute am Abend des 24. Juni eilig zusammen gezimmert. Dabei wurden die Pfeiler der abgebrannten Brücke von den Festungspionieren als Stützen des provisorischen Bauwerks verwendet.

Die Inszenierung einer Friedensverhandlung auf der Memel hätte symbolischer nicht sein können, wie zahlreiche zeitgenössische Stiche zeigen. Im Zentrum des Geschehens standen der französische Kaiser und der russische Zar. "N" und "A", die Anfangsbuchstaben ihrer Namen, prangten weithin sichtbar auf einem der beiden Pavillons – der zweite war für die Entourage reserviert. Der Kaiserpavillon war 6,28 Meter lang und 3,14 Meter breit. Außen mit Laub und Blumengebinden verziert, waren beide Zeltpaläste im Innern mit kostbaren Textilien verkleidet. Zahlreiche Spiegel sollten sie geräumiger erscheinen lassen. Die Stühle und Sessel hatte man aus der Tilsiter Freimaurerloge "Luise zum aufrichtigen Herzen" herbeigeholt. "Die Plattform", schreibt der Historiker Tobias Weger, "sollte symbolisch die künftige Demarkationslinie zwischen der französischen und der russischen Einflusssphäre im östlichen Europa markieren." Dem dienten auch die französischen und russischen Truppen, die am südlichen und nördlichen Memelufer in Paradestellung gegangen waren.

Tags darauf, am 25. Juni 2007, fand die erste Begegnung der beiden Imperatores statt. Unter lauten "Vive l’Empereur!" Rufen des französischen Heeres und Hurra-Geschrei der russischen Truppen betraten Napoleon und Alexander die Pavillons – und verstanden sich prächtig. Voller Begeisterung schrieb Napoleon an seine Frau:

"Meine Liebe, ich habe eben den Kaiser Alexander kennen gelernt, und ich bin mit ihm sehr zufrieden, denn er ist ein schöner, guter und junger Kaiser. Er hat mehr Geist, als man im Allgemeinen erwartet."

Preußens König war am ersten Tag nicht zugelassen. Friedrich Wilhelm musste das Spektakel vom Memelufer aus betrachten – in strömendem Regen und gehüllt in einen russischen Soldatenmantel. Erst am darauffolgenden Tage wurde er hinzugezogen. Wie frostig die Atmosphäre zwischen Napoleon und Friedrich Wilhelm III. war, lässt die Tagebuchnotiz der Oberhofmeisterin Sophie Gräfin von Voss erahnen.

"Heute kam ein Brief des Königs an die Königin über die Zusammenkunft am 26. Dieser elende Napoleon hat den König mit gesuchter Gleichgültigkeit und Kälte behandelt, und er schreibt sehr aufgeregt und entrüstet. Es waren zwei kleine Häuschen auf der Brücke über die Memel errichtet, in dem einen waren die beiden Kaiser, in dem anderen der König. Welche Insolenz gegen ihn! Auch aßen die beiden Kaiser dann zusammen in Tilsit, unser König musste allein in einem Dorfe eine Meile vor der Stadt bleiben. Welch entsetzliche Friedensbedingungen werden wir bekommen nach einem Vorspiel von so ausgesuchter Feindseligkeit und solchem Übermut."

Es war wohl diese Erfahrung der "Insolenz", die Luise bewogen hat, den Bittgang am 6. Juli anzutreten. Allein, es war umsonst. Nach dem für Preußen so verheerenden Frieden von Tilsit reiste das Königspaar zurück nach Memel.

Krisen, meine Damen und Herren, heißt es, seien immer auch die Chance für einen Neubeginn. In der Geschichte Preußens heißt dieser Neubeginn "Reformen". Sie alle kennen die Stichworte: Bauernbefreiung, Städteordnung, Gründung der Berliner Universität. Weniger bekannt allerdings ist, dass die von oben verordnete Reformpolitik ihren Ausgangspunkt in Memel genommen hat. Auch daran erinnert man sich in Klaipeda heute nicht ohne Stolz.

Schon drei Monate nach dem Friedensschluss wurde in Memel das berühmte Oktoberedikt unterzeichnet, mit dem der Freiherr vom Stein 1807 die Bauernbefreiung verkündete. Darin heißt es:

"Nach dem Datum dieser Verordnung entsteht fernerhin kein Untertänigkeitsverhältnis weder durch Geburt, noch durch Heirat, noch durch Übernehmung einer untertänigen Stelle, noch durch Vertrag (…) Mit dem Martinitage 1810 hört alle Gutsuntertänigkeit in Unseren sämtlichen Staaten auf. Nach dem Martinitage 1810 gibt es nur freie Leute."

Stein war bereits am 30.September 1807 nach Memel gekommen. Als preußischer Handels- und Finanzminister hatte er bereits vor dem Krieg eine umfassende Reform des preußischen Staatswesens vorgeschlagen, sehr zum Ärger des Königs, der Stein wenig später entließ. Dass nun, in Memel, seine Stunde schlug, war neben Hardenberg auch der Königin Luise zu verdanken. Mehrfach setzte sie sich bei Friedrich Wilhelm für Stein ein, der schließlich vom König zum preußischen Staatsminister ernannt wurde. Dieses Amt hatte er inne, bis Napoleon 1808 seine Entlassung durch den preußischen König forderte, und auch durchsetzen konnte.

Aber auch zu Hardenberg, der Stein im Amte des Staatskanzlers folgte, hatte Luise ein besonderes Verhältnis. Gleiches gilt für Wilhelm von Humboldt, der bald auch in Memel weilte. Nicht nur die Bauernbefreiung oder die preußische Heeresreform wurden im Memeler Exil auf den Weg gebracht, sondern auch die preußische Bildungsreform, wie der gebürtige Memeler Historiker Wolfgang Stribrny heute feststellt: "Was in Berlin mit der Friedrich Wilhelm Universität 1809 realisiert wurde und weltweit vorbildlich wurde für alle Universitäten, begann in Memel."

Dass Luise bei aller Zurückhaltung zu den Sympathisanten der Reformer gehörte, weiß man im heutigen Klaipeda nur zu gut. Auch Memel profitierte damals von der Einführung der kommunalen Selbstverwaltung, die ebenfalls zum Reformwerk gehörte. Wie in vielen Ländern Osteuropas blickt man heute auch in Litauen auf die Reformen als Teil einer Modernisierung und Dezentralisierung der Macht, die aus der Rückschau einer der Voraussetzungen dafür bildeten, was man heute als Europa der Regionen betrachtet.

Anders als in Russland, wo der Gouverneur des Kaliningrader Gebiets vom russischen Präsidenten ernannt wird, gewinnen die Themen regionale Entwicklung und regionale Identität in Litauen an Bedeutung. Spürbar ist das vor allem in Kleinlitauen, dem im Westen des Landes gelegenen ehemaligen Memelland oder, wie es auch hieß, Preußisch Litauen.

Für Alvydas Nikzentaitis ist dies eine Entwicklung in Richtung Europa. Gleichwohl hat die litauische Erinnerung an Luise für den Direktor des litauischen historischen Instituts auch mit dem Thema Heimat zu tun. Anders als die Bewohner im Kaliningrader Gebiet, betont er, haben sich die Litauer im Memelland schon zu Zeiten der Sowjetunion mit dem kulturellen Erbe Ostpreußens beschäftigt. Erkennbar ist dies zum Beispiel bei der Namensgebung für die ehemaligen ostpreußischen Städte und Dörfer. So geht Klaipeda auf den alten litauischen Namen für Memel zurück. Tilsit hingegen wurde – als Sowjetstadt – völlig neu benannt. Bis in die 50er Jahre hatte es um solche Fragen Streitereien zwischen der Litauischen Sowjetrepublik und der Russischen Föderalen Sozialistischen Sowjetrepublik gegeben, zu der das Kaliningrader Gebiet zählte. Am Ende hat sich Moskau durchgesetzt. Deutsche und litauische Namenswurzeln, hieß es zur Begründung, seien für den normalen Sowjetbürger nur schwer auszusprechen.

Hinzu, meint Nikzentaitis komme die Tatsache, dass die Memelniederung bis 1945 eine multikulturelle Region war, in der Deutsche, Litauer, Juden und autochthone "Memelländer" wohnten. Das erleichtere es, dass in Klaipeda heute Platz für "viele Heimaten" sei, meint der Historiker. Der Umgang mit dem historischen Erbe, sagt Nikzentaitis, sei der Gradmesser für die Herausbildung einer regionalen Identität.

So müsste es nicht unbedingt die Luise sein, an die man heute in Litauen und Russland anknüpft. Aber es gibt auch nichts, das gegen – wie etwa in Polen – gegen sie spräche. Selbst die Mythenbildung, die nach ihrem Tod in Preußen und später im Kaiserreich einsetzte, ist für die Luise als Gallionsfigur der deutschen Vergangenheit in Litauen und Russland, kein Hindernis. Nicht die Luise, mit deren Bildnis die Freikorps in die Befreiungskriege zogen, nicht Schlegels "Königin der Herzen", nicht der symbolische Besuch Wilhelms I. an ihrem Grab, kurz vor dem deutsch-französischen Krieg, ja nicht einmal der Versuch der Nazis, Luise im Propagandafilm Kolberg zu instrumentalisieren. Das ist die deutsche Luise. Die Luise, derer man in Sowjetsk oder Klaipeda gedenkt, ist eine andere: die Freundin Alexanders oder die Sympathisantin der Reformer.

So sind wir gegenwärtig also Zeugen einer Europäisierung des Luisenbildes. Die russische und die litauische Erinnerung an die preußische Königin tragen dazu einen nicht unwesentlichen Teil bei.

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