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DRUCKVERSION Die kleine Schwester

Potsdam, die kleine Schwester Berlins, bestach einst durch ihren maroden Charme und die Lesbarkeit brandenburgisch-preußischer Geschichte. Dann wurde sie hochnäsig. Kein Ort zum Leben, findet unser Autor, obwohl er selbst mal damit geliebäugelt hat

von UWE RADA

Es war das Postkartenpotsdam, das mich schon zu Mauerzeiten fasziniert hatte. Der Blick auf die Heilandskirche in Sacrow beim Spazieren am Havelufer. Oder das Babelsberger Schloss mit seinen Türmen im Tudor-Stil. Was für ein Kontrast zum erzwungenen Halt des Interzonenzugs in Griebnitzsee. Blasse DDR-Grenzer patrouillierten mit Schäferhunden am Bahnsteig. Preußen, dachte ich damals, pflegt noch immer beides: Den Hang zum Schönen und zum Soldatischen. Wie gut, dass es da Westberlin und seine Nischen gab, in denen man sich herrlich verstecken konnte.

Nach dem Fall der Mauer ließ ich die Dialektik fahren und erlag dem Potsdamer Charme. In Sanssouci begriff ich, was Friedrich hätte sein können, wenn er nicht "der Große" geworden wäre. Das Neue Palais, das er nach dem Siebenjährigen Krieg errichten ließ, war dann nicht mehr sorgenfrei, sondern machtgeil. Vom Ende Preußens erzählten mir das Schloss Cecilienhof und die Villen am Griebnitzsee, in denen Stalin, Churchill und Truman logierten. In Potsdam konnte ich brandenburgische und preußische Geschichte lesen, während mir in Berlin Schritt auf Schritt die Gründerzeit und die DDR über den Weg liefen.

In diese Zeit fiel auch der Gedanke, nach Potsdam zu ziehen. Natürlich wäre es eine Flucht gewesen. Aber jetzt, ohne Mauer, war vieles möglich, an das sich zuvor ein Gedanke verboten hatte. Warum also nicht nach Potsdam ziehen? Zum Beispiel ins Holländische Viertel, ein bauliches Denkmal preußischer Toleranz, das die Bürgerbewegung vor der Sprengung gerettet hatte. Oder nach Babelsberg auf der anderen Seite der Havel, wo schon die Alternativkultur sichtbar wurde?

Raus aus dem lauten Berlin wäre ich dann, näher an der Natur und immer noch nahe an Berlin, der großen Schwester.

Bevor ich mich zu diesem Schritt entschließen konnte, war die kleine Schwester dabei, flügge zu werden.

Schnell wuchs sie heran und wurde dabei immer hochnäsiger. Wollte schnell in neue Kleider schlüpfen und die alten, abgetragenen, die ich so an ihr mochte, in die Ecke werfen.

Es war die Zeit der großen stadtpolitischen Debatten. Wieviel DDR darf in der Innenstadt bleiben? Soll das Stadtschloss wieder aufgebaut werden und mit ihm der Alte Markt? Und was ist schlimm am Wiederaufbau der Garnisonkirche, wo sich Hitler und Hindenburg die Hand schüttelten und die Alleinherrschaft der Nazis besiegelten?

Immer eigener wurde die kleine Schwester und immer exklusiver in ihrem Auftreten. Warf sich in Schale, posierte mit Größen wie Günther Jauch, die ihr das wiederaufgebaute Fortunaportal des Stadtschlosses spendierten, oder Hasso Plattner, dem Mäzen des Museums Barberini.

Die kleine Schwester lockte den Geldadel an und warf den verarmten Adel aus dem Haus. Nicht einmal lustig machte sie sich über sich selbst, denke ich heute, und ahne doch, dass sie wohl nie Humor gehabt hat, auch nicht, als sie noch klein war.

Wann genau ich meinen Fluchtplan aufgegeben habe, weiß ich nicht mehr. Ich wusste nur, dass ich irgendwann bei meinen Besuchen in Potsdam diesen Erleichterungsgedanken hatte: Puh, gut, dass ich das nicht gemacht habe. Der Kelch ist an mir vorbeigegangen. Selbst wenn mich die kleine Schwester nicht herausgeworfen hätte und ich mir die Stadt hätte leisten können, wäre ich doch in ein Museum gezogen. Der physische Staub war zwar weg, aber neuer, geistiger Staub war dazugekommen.

Was für ein Kontrast war dagegen die große Schwester. Ja, auch sie hatte sich schick gemacht, aber aller Dünkel war ihr fremd. Lockerer wurde sie sogar mit der Zeit, weltgewandter, schaute mehr in die Zukunft als in die Vergangenheit. Berlin war Großstadt und wurde zur Metropole. Potsdam wurde Großstadt und wurde zur Provinz.

Inzwischen bin ich mir auch bei Berlin nicht mehr sicher. Auch Berlin hat inzwischen sein Stadtschloss, und die städtebaulichen Debatten ähneln mehr und mehr denen von Potsdam in den neunziger Jahren. Um Rekonstruktion geht es da, um die Sehnsucht nach guten Stuben und den nostalgischen Blick in die Vergangenheit.

Und auch das: Je mehr die Innenstadt zur begehrten Wohnlage betuchterer Familien wurde, desto mehr Dorf kam in die Stadt. Das Dorf klagte die Clubs weg und die Proberäume, um endlich Ruhe zu haben. Selbst Gated Communities gibt es inzwischen. Dabei hatte ich mich noch lustig gemacht über Potsdam, als dort der erste dieser abgeschotteten und aseptischen Lebensträume hochgezogen worden war.

Auch eine Metropole kann zur Provinz werden, da bin ich mir inzwischen sicher. Seitdem bin ich ganz entspannt, wenn ich in Potsdam bin. Freue mich, dass das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte inzwischen mehr Coolness verbreitet als das Drumherum am Neuen Markt. Besuche gerne eine Freundin, wenn sie in Sacrow ist.

Erwachsen ist die kleine Schwester jetzt und hat selbst schon Kinder, um die sie sich kümmern muss. Mein Problem ist das nicht mehr. Das Postkartenpotsdam habe ich aus den Augen verloren.


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