Uwe Rada themenstadtzusammen modern

DRUCKVERSION Zusammen modern

Die Ausstellung "auf.einander.bauen" im Deutschen Architektur Zentrum stellt Baugruppen und deren Entwürfe für innerstädtisches Wohnen vor

von UWE RADA

Seit dem Berliner Architekturstreit ist viel Wasser die Spree hinuntergeflossen. Fast schien es, als wäre die Baukunst gar kein Thema mehr in einer Stadt, in der das innerstädtische Bauen heute unter Überschriften wie "Palais Kolle Belle" firmiert und alles andere entweder als "Loft" oder als "Townhouse" gebaut wird. Doch nun zeigt eine Ausstellung im Deutschen Architektur Zentrum (DAZ): Es gibt eine neue, aufregende Kultur des innerstädtischen Bauens. Und die kommt - in Gestalt von Baugruppen - sogar von den Bewohnern selbst.

Ausklappbare Balkons, variable Raumgrößen, Gemeinschaftsflächen - es sind die Details, die die zwölf Baugruppenprojekte ausmachen, die das DAZ in seiner Ausstellung "auf.einander.bauen." vorstellt. Nichts ist hier konfektioniert, der Wunsch der Bewohner ist dem Architekten Befehl. Vor allem aber zeigen die Projekte, dass die "neue Heimat Stadt", die die Wochenzeitung Zeit unlängst ausgerufen hat, alles andere als heimattümelnd ist. Die Architektursprache des neuen innerstädtischen Bauens ist durchweg modern, klare Formen stehen anstelle des üblichen Zierrats. Hier sucht keiner den schönen Schein. Warum auch, das Sein ist in der Marienburger Straße in Prenzlauer Berg oder der Strelitzer Straße in Mitte spannend genug.

Lange Zeit war das Thema Baugruppe ein Insiderthema. Anders als in den Baugruppenhochburgen Tübingen, Freiburg und Hamburg freundeten sich junge Familien, die nicht an den Stadtrand, sondern in der Innenstadt bleiben wollten, nur zögerlich mit dem Gedanken an, selbst Bauherren zu werden. Hinzu kam, dass in der Mieterstadt Berlin der Wohnungsmarkt lange Zeit entspannt war. Seit einiger Zeit aber sieht man an zahlreichen Bautafeln vor allem in Prenzlauer Berg: Der Zusammenschluss von Nutzern, die sich die Kosten für Bauträger und Makler sparen und selbstbestimmt bauen wollen, ist attraktiv.

Vor allem aber hat er Zukunft: Mehr als 1.000 Baulücken und Brachen haben die Innenstadtbezirke zu bieten, die meisten Grundstücke gehören der öffentlichen Hand. Der Chefstadtplaner der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Rainer Nagel, verspricht: "Wir wollen das Höchstgebotsverfahren auf städtische Flächen in Bezug auf Baugruppen auflösen." Im Klartext: Baugruppen sind als Pioniere eines neuen sozialen Zusammenhalts dem Senat Grund genug, städtische Grundstücke unter dem Marktwert zu verkaufen. In Hamburg, wo Rainer Nagel lange Zeit gearbeitet hat, werden bereits 15 Prozent aller städtischen Grundstücke für Baugruppen reserviert.

Eines haben die Berliner Baugruppen denen in Hamburg, Freiburg oder Tübingen voraus: Es sind vor allem junge und engagierte Architekten, die die Projekte initiiert haben. "In den letzten vier Jahren ist mit der Baugruppe fast eine Art neue Typologie urbaner Wohnformate entstanden", sagt DAZ-Direktorin Kristien Ring, die die Ausstellung kuratiert hat. "Baugruppen-Bebauungen in Form von aufeinandergestapelten Einfamilienhäusern oder sogar Villen sind plötzlich im Stadtbild präsent und werden - im Gegensatz zu den Townhouses - nicht nur von Großverdienern, sondern vor allem von Familien der Mittelschicht bewohnt."

Kein Wunder, dass die neue Architekturbewegung inzwischen schon als Zukunftsmodell für die kriselnde Stadt gilt. Für den Architekten Christian Schöningh ist sie eine "neue Form des sozialen Wohnungsbaus", für Bauherren wie Andreas Ruby eine Möglichkeit, "der Stadtflucht wirklich Paroli zu bieten". Nicht zuletzt die günstigen Preise sind ein Argument. Kostet eine städtische Eigentumswohnung im Schnitt 2.400 Euro pro Quadratmeter, gibt es das Wohnen im Baugruppenhaus bereits für 1.500 Euro. Selbst herkömmliche Bauträger kommen deshalb nicht umhin, Wohnungsgrundrisse nach Wunsch in den Katalog zu nehmen.

Ein Baugruppenprojekt, das erst am Entstehen ist und deshalb noch keine Würdigung im DAZ erfahren hat, ist die Kollwitzstraße 22. Hier wird man bald erleben können, welche Fronten im Berliner Architekturgeschehen verlaufen. Gleich neben dem Projekt entsteht die historistische Blödelarchitektur des "Palais Kolle Belle". Der wird wohl - zu Recht - nie eine Ausstellung gewidmet werden. Es sei denn, man stellt dereinst einmal aus, was sich der gemeine Projektentwickler unter der "neuen Heimat Stadt" vorstellt.

DRUCKVERSION
nach oben