Uwe Rada themenstadtwelches berlin hätten Sie denn gern?

DRUCKVERSION Welches Berlin hätten Sie denn gern?

Vor 15 Jahren begann in Berlin der Architekturstreit. Dabei ging es nicht nur um die Kontroverse Hochhäuser oder "kritische Rekonstruktion". Architektur wurde auch zum Thema einer breiten Öffentlichkeit. Das gilt bis heute - nur, dass man inzwischen mehr über den Inhalt als über die Verpackung streitet

von UWE RADA

Geht es um das Zentrum Berlins, kommen die Impulse nicht selten aus Italien. Das gilt nicht nur für Francesco Stella, dessen konservativer Schlossnachbau dereinst die Toskana-Fraktion in der deutschen Hauptstadt glücklich machen soll. Mit Vittorio Lampugnani hat vor 15 Jahren ebenfalls ein Italiener eine Debatte losgetreten, die bis heute nicht beendet ist - den Berliner Architekturstreit.

Am 20. Dezember 1993 schrieb Lampugnani, damals Leiter des Deutschen Architekturmuseums (DAM) in Frankfurt am Main: "Wir müssen den Mythos der Innovation, eine der verhängnisvollsten Erbschaften aus der Epoche der Avantgarden, aufgeben. Wo Innovation bloße Attitüde ist, hat die Konvention das bessere Argument."

Eine Kampfansage

Das war eine Kampfansage: an die Verfechter der Moderne, die noch kurz zuvor im DAM ihre Hochhausvisionen für das "Herz der Großstadt" ausstellen durften. Und auch an jene, die die Zukunft Berlins nicht so sehr als Summe seiner Architekturen sahen, sondern in einem modernen, zeitgemäßen Städtebau. Doch der war durch die Planung der Investorenstadt einer Daimler-City am Potsdamer Platz in Misskredit geraten - und Lampugnani blies zum Fanal. Nicht mehr der Blick nach vorne sollte plötzlich maßgeblich sein, sondern einer, der Gewissheit suchte in der Ordnung der Vergangenheit. Von Lampugnanis "Konvention" bis zu Hans Kollhoffs "Das 19. Jahrhundert ist noch nicht zu Ende" war es kein weiter Weg mehr.

Die öffentlichen Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Daniel Libeskind, der spätere Architekt des Jüdischen Museums, bezeichnete Lampugnanis Streitschrift als ein "Plädoyer für Law and Order". Der britische Independent unkte, Berlin werde wieder zu einer "Knobelbecher-Stadt, an der Hitler seine Freude gehabt hätte". Auch der Architekturkritiker Nikolaus Kuhnert sah ein ideologisches Rollback: "Weil sich Politik und Kultur in Deutschland mit reaktionären Positionen noch nicht hervorwagen, üben die Architekten schon mal die Rolle rückwärts ein."

Wer aber war der Adressat dieses Architekturstreits? Und wer sein Publikum? Wen interessierte die Kontroverse Hochhäuser versus Blockrandbebauung, Stein versus Glas, Stadt versus Architektur, Konvention versus Experiment tatsächlich? Nur die Fachöffentlichkeit der Architekturzeitschriften und die Feuilletons der überregionalen Tageszeitungen? Oder auch eine breite Öffentlichkeit jenseits dieser Fachpublika?

Interessant ist in diesem Zusammenhang Lampugnanis Begriff von Öffentlichkeit am Beispiel von Architektur: "Die Konvention hat einen weiteren Vorteil", schrieb er im Spiegel. "Sie macht Architektur verständlich. Was sich bruchlos aus der Tradition entwickelt, lässt sich auch durch sie erklären. Ein altes Haus ,liest' jeder, wie auch jeder ein altes Gemälde versteht. Ein modernes Haus, wie auch ein modernistisches Gemälde, versteht nur der Eingeweihte. Das ist in der Kunst, die am liebsten irritiert, richtig. In der Architektur, die eine öffentliche Aufgabe wahrnimmt, geht es nicht an."

Breite Öffentlichkeit

Das war ein Versuch der Popularisierung von Architektur oder, wenn man so will, auch ein Beispiel für den Populismus in der Architekturdebatte. Die Konventionalität einer neuen "Berlinischen Architektur" sollte plötzlich einhergehen mit dem guten Geschmack des Publikums. Das schloss im Übrigen einen groß angelegten Propagandafeldzug gegen die DDR-Moderne nicht aus. Im Gegenteil: Gerade am Beispiel der Ostberliner Mitte versuchten die Protagonisten der konservativen Wende zu begründen, wie wichtig eine "kritische Rekonstruktion" sei.

Vielleicht war dieses Setting - Architekturdebatte und Ost-West-Konflikt - auch der Hauptgrund dafür, weshalb der Architekturstreit tatsächlich den Elfenbeinturm verlassen konnte. Tausende von Berlinern und Touristen pilgerten auf die Baustellen, nahmen an der "Schaustelle Berlin" teil, strömten in die rote Infobox am Potsdamer Platz, der damals größten Baustelle in Europa, und diskutierten über das Thema mit ebensolcher Verve wie über Politik und die letzte Fußballweltmeisterschaft. Plötzlich war jeder ein Experte und jede Meinungsäußerung eine Architekturkritik. Selbst Begriffe wie Traufhöhe, Geschossflächenzahl, städtebaulicher Wettbewerb oder Parzelle gehörten plötzlich zum Wortschatz der Berliner.

Es gab aber noch einen zweiten Grund, warum die Debatte so populär und gleichzeitig so intensiv werden konnte. Offenbar hat die Öffentlichkeit begonnen, Architektur und Städtebau als ein Leitmedium der gesellschaftlichen Verständigung anzuerkennen. Welches Berlin wollen wir denn? Schnell wurde deutlich, dass sich diese Fragen nach der Zukunft (und nach der Vergangenheit, die man ihr lässt) so sehr widerspiegeln wie in der Frage: Wie wollen wir bauen?

Mit der Öffnung der Debatte hatte sich auch die Konstellation der Akteure geändert. Neben den Konflikten Ost gegen West, konservativ oder modern, Architektur oder Stadt gab es nun weitere Fragestellungen: Sanierung oder Neubau, Flächenverbrauch oder Bestand, ökologisch oder traditionell. Selbst der Stadtentwicklungssenator hat sich dieser Aufbruchsstimmung nicht entziehen können: mit dem Stadtforum hat Volker Hassemer (CDU) ein Gremium geschaffen, das den Streit und die Kontroverse geradezu suchte.

Dass die Öffnung der Debatte freilich eher die Verpackung als den Inhalt zum Thema hatte, darauf wies früh schon der Architektursoziologe Werner Sewing hin. "Es ist wie bei einem Gewitter", schrieb Sewing in der taz über den Architekturstreit. "Die Argumente sind laut und polemisch. Es geht um Ästhetik, um ein Bild der Stadt, nicht um ihre soziale und politische Zukunft."

Tatsächlich aber stünden in Berlin grundsätzliche stadtpolitische und bauliche Weichenstellungen zur Diskussion, so Sewing: "Statt differenzierte Architekturen für alle nur denkbaren Nutzer zu bauen, wird bereits vor Realisierung der meisten Planungen deutlich, dass sie für Umnutzungen, etwa in Wohnraum, Kleingewerbe oder Kultureinrichtungen, für neue Mieter und Stadtbewohner mit anderen Interessen und Bedürfnissen kaum geeignet sind." Einen "hybriden Architekturtyp" wie das Berliner Mietshaus des 19. Jahrhunderts, in dem durch Wandelbarkeit bis heute fast alles möglich ist, bildeten die "gleichgeschalteten Bürobauten" nicht. "Städtische und soziale Zukunft wird verbaut, die Chance für offenes Bauen vertan."

Am Ende der Strand

Die Frage, die Sewing umtrieb, lautete also nicht mehr nur: "Wie wollen wir bauen?" Sie lautete auch: "Wozu sollen wir bauen?"

Da war tatsächlich neu. Nicht mehr Gestaltungsfragen standen im Vordergrund, sondern die Nutzung und mit ihr der Mensch, der Benutzer - der Verbraucher, wie man heute sagen würde.

Mit dieser Fragestellung änderte sich auch die Perspektive. Müssen wir alles überhaupt zubauen? Was wird aus dem öffentlichen Raum? Wer verdient an allem? Wird aus der Stadt plötzlich eine Bühne für Events, ein Ort der Festivalisierung? Droht uns gar eine "Amerikanisierung" der "europäischen Stadt"? Dem Populismus im Öffentlichkeitsbegriff Lampugnanis wurde also ein kritischer Begriff von Öffentlichkeit gegenübergestellt.

Mit dieser Debatte um die Zukunft der Stadt selbst wurde der Architekturstreit thematisch erweitert. Und weil sich der konservative Griff auf die Stadt festsetzte, sind die Kritiker auf andere Felder ausgewichen. Neben der Frage des öffentlichen Raums war das auch die soziale Stadtentwicklung sowie neue, aktuelle Fragen der Partizipation, die zunehmende Segregation der Stadt, an deren Ende schließlich die "Gated Communitys" standen.

Diese Fragen sind, auch wenn sich der konservative Rollback im Städtebau bis hin zur Schlosskopie von Francesco Stella durchgesetzt hat, nach wie vor aktuell. Das zeigt nicht zuletzt die Diskussion um die Bebauung der Spreeufer in Kreuzberg und Friedrichshain.

Hinter diesem Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung des Baugeschehens steht natürlich eine jahrelange Erfahrung. Gerade in der Innenstadt hat die Entwicklung zur Event-City rasante Züge angenommen und viele andere Nutzungen aus der Stadt verdrängt. Die Architekturdebatte war, im Nachhinein betrachtet, eine reine Fassadendebatte gewesen, die den Inhalt überlagert hat.

Nun aber hat es eine kritische Öffentlichkeit geschafft, die eigenen Nutzungsvorstellungen mehrheitsfähig zu machen. Warum sollten dazu neben Büros und Wohnungen nicht auch Uferwege und Strandbars gehören?

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